14. - 15. Februar 2020, Eisenach #nextlevel - Theaterpädagogische Sichten auf den digitalen Transformationsprozess in der Gesellschaft

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Wie bildet sich der digitale Transformationsprozess in der Theaterarbeit ab? Welche neuen ästhetischen Formen lässt er entstehen? Wie verortet sich die Theaterpädagogik im Kontext von Digitalisierung und welche Rolle nimmt sie ein, um den digitalen Wandel in der Gesellschaft aufzugreifen und mitzugestalten?

Die Fachtagung „#nextlevel: Theaterpädagogische Sichten auf den digitalen Transformationsprozess in der Gesellschaft“ vom 14. – 15. Februar 2020 in Eisenach hat diese Fragen diskutiert. Veranstaltet wurde das Fachtreffen von der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Spiel & Theater und der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Spiel und Theater in Thüringen. Corona-bedingt wurden in den letzten Monaten zahlreiche Angebote der Theaterarbeit digitalisiert und online durchgeführt, wodurch die Diskussion theaterpädagogischer Fragestellungen im Kontext des digitalen Wandels weiter an Relevanz gewonnen haben.

In ihrem Eröffnungsvortrag „Theater und Spiel in einer post-digitalen Welt“ skizzierte Lisa Unterberg den Wandel hin zu einer Gesellschaft, in der digitale und analoge Lebenswelten nicht mehr klar voneinander zu trennen sind.¹

Den digitalen Transformationsprozess Digitalisierung beschrieb sie als umfassenden Kulturwandel, der sich nicht nur auf die technologische Dimension begrenzen lasse, sondern sich auf Wahrnehmungsmuster und Kommunikation auswirke. Insbesondere die Perspektive und Wahrnehmung von Kindern und Jugendlichen sind geprägt durch die Nutzung digitaler Medien. In diesem Zusammenhang betonte Unterberg die Rolle von Theater und Angeboten der Kulturellen Bildung, die Kindern und Jugendlichen Diskursräume bieten, in denen sie die Digitalisierung und ihre gesellschaftlichen Auswirkungen verhandeln und beforschen sowie Ideen für einen reflektierten Umgang entwickeln können. Das Theater müsse an die digital-analogen Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen anknüpfen, um ästhetische Zugänge schaffen zu können. Es müssen also neue Erzählweisen geschaffen werden, die den Lebensweltbezug herstellen.

Wie die theatrale Verhandlung digitaler Phänomene in der Praxis umgesetzt werden kann, stellte die Theaterpädagogin Tabea Hörnlein vom theater junge generation (tjg) Dresden am Beispiel von verschiedenen Theaterprojekten vor. Im Rahmen des europäischen  Netzwerkprojekts "PLATFORM shift+" entwickelte das tjg Dresden im Zeitraum von 2014 - 2018 Inszenierungen, die Digitalität und ihre Auswirkungen unterschiedlich diskutierten und reflektierten. Sie schilderte, wie digitale Erzählweisen Zugänge für Kinder und Jugendliche zu theatralen Formen schaffen können und welches ästhetische Potenzial durch den Einsatz digitaler Medien und auch in der analogen Verhandlung digitaler Inhalte erschlossen werden kann. Sie illustrierte an mehreren Beispielen, dass digitale Erzählweisen niedrigschwellig und durchaus auch analog umgesetzt werden können. Die Produktion „#ichmagdicheinfachnichtmehrso“ diskutierte den Einfluss von Chatsprache und Emojis auf die Kommunikation, in der es um ‚Schlussmachen‘ im digitalen Zeitalter geht. Das Stück ist als analoger WhatsApp-Chat konzipiert. Die Spieler*innen übertragen schriftsprachliche Kommunikation aus dem Chatmedium ins mündliche und chorische Sprechen. Der Gesprächsverlauf wird dabei von Autokorrektur und doppeldeutigen Abkürzungen beeinflusst.

Am Beispiel der Produktion „no entry/kein zutritt“ beschrieb Tabea Hörnlein, wie Kinder und Jugendliche durch interaktive Elemente eingebunden und für Inhalte begeistert werden können. Mit Tablets wurden die Zuschauer*innen in diesem Stück durch einen interaktiven Videowalk geführt. Dabei agierten sie als Avatare, die sich im Theater bewegten und geheime Räume entdeckten. Sie konnten zwischen verschiedenen Routen wählen und so den Spielverlauf beeinflussen. Das junge Publikum nahm die interaktiven Elemente, die an Computerspielstrukturen orientiert sind, sehr gut an, so Hörnlein. Allerdings erforderte die technische Umsetzung einen hohen finanziellen und zeitlichen Aufwand.

Das Stück „no entry/kein zutritt“ greift Elemente des Game Theatres auf, das Prinzipien aus Computer- und Gesellschaftsspielen aufgreift und sowohl digital als auch analog umsetzt. Damit knüpft das Game Theatre insbesondere an die Erfahrungswelt von Kindern und Jugendlichen an und schafft für diese Zielgruppe Zugänge. Christian Rakow (Theaterportal nachtkritik), stellte diese Theaterfom vor und gab einen Überblick zur Entwicklung des interaktiven Game Theaters und den Impulsen von Spielmedien für das Repräsenationstheater. Hannes Kapsch und Kaspar Bankert vom Game Theatre Kollektiv „komplexbrigade“ erarbeiteten mit Jugendlichen in einem praktischen Workshop kurze analoge Theater Games, die von den Tagungsteilnehmer*innen erprobt werden konnten.

Auf dem abschließenden Basar des Wissens, einem Format des Erfahrungs- und Ideenaustauschs, teilten Expert*innen ihr spezifisches Wissen in Einzelgesprächen. Die Teilnehmer*innen konnten entweder ein Einzelgespräch buchen und mit den Expert*innen ihre Fragen diskutieren und Erfahrungen teilen oder als stille Beobachter*innen die Gespräche an den Thementischen verfolgen. Im konzentrierten Dialog entstand ein intensiver Wissensaustausch u.a. zu den benötigten Fachkompetenzen, um digitale Räume theaterpädagogisch zu nutzen (Guido Alexius und Tabea Hörnlein) und den theaterpädagogischen Zugängen, die durch die Digitalisierung geschaffen werden (Volker List). Außerdem wurden die digitalen Gestaltungsmöglichkeiten am Beispiel der Tagtool -App (Matthias Plenkmann, Lichtgestalten) und Montagesoftware nota als digitale Probebühne (Birk Schindler, VOLL:MILCH) vorgestellt. Gerd Koch diskutierte mit seinen Gesprächspartner*innen den Spielbegriff im analogen und digitalen Kontext. Christian Rakow vertiefte mit den Teilnehmenden die Diskussionen rund um das Game theatre.

Im Rahmen der Podcast-Reihe „#AUFgenommen“ der BAG Spiel & Theater  ist die Fachtagung in zwei Folgen ausführlich dokumentiert.

In Teil I kann der Vortrag „Theater und Spiel in einer Post-Digitalen Welt“ von Lisa Unterberg nachgehört werden. Der zweite Teil der Dokumentation fasst die theaterpädagogischen Praxisbeispiele von Tabea Hörnlein zusammen. Moritz Schwerin und Caspar Bankert vom Kollektiv „komplexbrigade“ stellen das Game Theatre vor.

Programm Fachtagung

Programm Basar des Wissens

 

¹ Lisa Unterberg arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Friedich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg im Metaprojekt „Digitalisierung in der Kulturellen Bildung“. Das Forschungsprojekt untersucht im Rahmen von 14 Projekte an 23 Standorten in ganz Deutschland die Potenziale und Auswirkungen der Digitalisierung für die Kulturelle Bildung. Weitere Informationen unter: https://www.dikubi-meta.fau.de/

 

Der Text ist in der Zeitschrift für Theaterpädagogik, Heft 77, erschienen. Autorin: Leona Söhnholz.

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